compose.IT
Best Research & DevelopmentWas wäre, wenn man ein IT-Produkt für ein neues Geschäftsmodell innerhalb von nur wenigen Tagen entwickeln und nutzen könnte? Was wäre, wenn sich dieses Produkt als ein leicht anpassbares Werkzeug erwiese, mit dem man die digitalen Anforderungen an ein Energieversorgungsunternehmen flexibel meistert? MICRES, kurz für Micro Energy Service, ist ein Forschungsprojekt des Instituts für Digitalisierung Aachen (IDA) an der Fachhochschule Aachen, das sich exakt mit diesem Thema beschäftigt – genauer gesagt, mit der „Vermeidung von Dateninkonsistenz & Sicherung der Performance dezentral ausgeführter Geschäftsprozesse in der Energiewirtschaft“.
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Gefördert vom BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (jetzt: BMWK Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz) sowie in Kooperation mit der ene’t GmbH, Hückelhoven, wird hier mehr als nur an einer Idee gearbeitet: Es entsteht eine Lösung, die Softwareentwickler und ‑anwender, Energiedienstleister und ‑versorger zusammenbringt und ihnen die Kooperation erleichtert. Ein Name für diese innovative Lösung ist bereits gefunden: compose.IT.
Hintergrund und Aufgabenstellung
Energieversorgungsunternehmen unterliegen einem massiven Wandel. Aus ehemals reinen Energielieferanten entstehen multifunktionale Akteure, die sich Themengebieten wie der E‑Mobility bis zum Car Sharing, dem Smart Home und sogar der Telekommunikation widmen. Kraftwerke werden virtuell wie auch digitale Services, insbesondere in der Cloud, immer mehr zunehmen. Die Energieversorger diversifizieren entsprechend, lagern Prozesse aus, entwerfen neue Geschäftsmodelle und agieren dynamischer sowie kundenorientierter.
So weit, so gut, so schwierig! Denn mit der Vielfalt und dem Leistungsdruck steigen auch die Anforderungen an eine funktionierende und zugleich wandlungsfähige IT-Struktur. Behäbige Monolithen in den Software-Landschaften, wie sie oft noch gang und gäbe sind, dienen aus und machen Platz für flexible Systeme. Diese jedoch mustergültig aufzubauen und zu orchestrieren – innerhalb möglichst kurzer Zeit, mit sicherer Kompatibilität und zu akzeptablen Kosten – ist eine große Herausforderung.
Die Lösung
Die Forschungspartner FH Aachen und ene’t haben sich dazu eine agile Plattform für die Energiewirtschaft zum Ziel gesetzt. compose.IT ist vieles zugleich: Zertifizierungsstelle und Service-Repository, Prozess-Modellierer und ‑Monitor. Über die Plattform können Ausschreibungen erfolgen und Statistiken erstellt werden. Dabei dienen alle Funktionen einem zentralen Zweck: Den Softwareprofis die Entwicklung und das Angebot neuer flexibler Applikationen im Markt zu erleichtern und den Energieversorgern einen Katalog aus gesicherten, zertifizierten Produkten an die Hand zu geben, auf den sie jederzeit zugreifen können. Die sichere Kombinierbarkeit der Applikationen, die über compose.IT entstehen und verbreitet werden, garantiert der Standard der BO4E. Er ermöglicht, dass die Softwareprodukte ganz ohne individuelle Schnittstellen problemlos miteinander verknüpft und Daten multidirektional ausgetauscht werden können.
Wie die Produktkomposition mit compose.IT im Detail funktioniert?
Stellen wir uns eine Schritt-für-Schritt-Softwareinnovation zur „Leistungsabrechnung“ – einer Stromberechnung an Verbraucher o. Ä. – in vereinfachter Form vor:
Schritt 1: Ein energiewirtschaftliches Unternehmen plant zum Thema Leistungsabrechnung ein neues Produkt.
Schritt 2: Das Unternehmen modelliert dazu zunächst einen Geschäftsprozess und erstellt ein Ablaufdiagramm mit allen fachlichen Komponenten – in diesem Fall mit den Elementen „Verbrauch und Tariferfassung“, „Kostenberechnung“ und „Kostenausgabe“ sowie mit deren Verbindungen via Ein- und Ausgabedaten.
Abb.: Modell einer „Leistungsabrechnung“: Es zeigt, aus welchen fachlichen Komponenten der Geschäftsprozess besteht und wie diese miteinander verbunden sind. Die Modellierung ist die Basis für die darauffolgende Auswahl konkreter Softwarebausteine.
Schritt 3: Jetzt ordnet das Unternehmen den fachlichen Komponenten die passenden Softwarebausteine aus einem Applikationsspeicher (Service Repository) zu. Dieser Speicher wurde zuvor von diversen Softwareherstellern mit ihren Produkten gespeist. Die Bausteine werden nun noch aneinandergekoppelt: Fertig ist die neue Softwareanwendung! Sollte es Inkonsistenzen in dieser Modellierung geben, z. B. durch unpassende oder fehlende Daten, fallen diese in der Automatik von compose.IT sofort auf und können behoben werden. Die neu komponierte Softwarelösung funktioniert einwandfrei, weil ausnahmslos alle enthaltenen Applikationen BO4E-konform und somit kompatibel sind.
Schritt 4: Das Unternehmen platziert seine Innovation nun seinerseits auf compose.IT als Teil des Applikationsspeichers und die Vermarktung kann beginnen. Dem Anspruch nach konsequent offenen Standards entsprechend, ist die neue Lösung auf jeder BPMN-kompatiblen Process Engine ausführbar.
Zitat
„compose.IT basiert auf offenen Standards. Nur diese ermöglichen eine agile Komposition von Softwaresystemen und sind der Wegbereiter in eine IT-Welt, die innovationsfreudig und flexibel ist.“
Prof. Dr. rer. nat. Bodo Kraft, Direktor des Instituts für Digitalisierung Aachen (IDA) an der Fachhochschule Aachen
compose.IT im Überblick
Daten und Fakten:
- Teil des Forschungsprojekts MICRES (Micro Energy Service) des Instituts für Digitalisierung Aachen (IDA) an der Fachhochschule Aachen
- Kooperationspartner aus der Wirtschaft: ene’t GmbH, Hückelhoven
- Gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK)
- Projektlaufzeit: Juli 2022 – Juni 2024
- Finanzvolumen gesamt: rd. 660.000 €, davon 440.000 € aus öffentlicher Hand
Vorteile:
- „Ready to go“-Plattform für Software-Hersteller und ‑Anwender (EVUs): „Ein neues Produkt in 5 Tagen!“
- Fachliche Modellierung mit Konsistenzprüfung bereits in früher Phase
- Marktübersicht aller verfügbaren Softwarebausteine und deren Hersteller
- Komposition neuer Softwareanwendungen durch Auswahl und Zuordnung bestehender Produkte
- BO4E-konform: Kommt ohne proprietäre Schnittstellen aus und sorgt für leichte Integrierbarkeit
- Transparent und offen: Kann in BPMN-Process-Engine problemlos ausgeführt werden
Projektpartner:
- FH Aachen
- ene’t GmbH, Hückelhoven
- mit Unterstützung des BMWK Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz
Stand: Juni 2023
Mini-Glossar
Ausgesuchte Fachbegriffe aus diesem Beitrag allgemeinverständlich erklärt (in alphabetischer Reihenfolge)
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BPMN
Abkürzung für „Business Process Modeling Notation“. BPMN ist eine Modellierungssprache bzw. beschreibt eine Methode und die dazugehörige Symbolik, mit der die einzelnen Schritte eines geplanten Geschäftsprozesses grafisch dargestellt (aufgezeichnet) werden.
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Process Engine
Eine Process Engine (auch Workflow Engine) ist eine Applikation, welche die (reine) Steuerung der Prozessausführung übernimmt. Die auszuführenden Prozesse müssen daher im Vorfeld entsprechend definiert werden, damit die Engine alle Aktivitäten abarbeiten kann. Hierzu werden i. d. R. Modellierungssprachen wie BPMN verwendet.
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Process Modeller (Prozessmodellierung)
Tool zur Erstellung von (Geschäfts-)Prozessen. Services und Softwarebausteine werden ausgewählt und die Reihenfolge der Ausführung festgelegt. Als "Output" liefert der Process Modeller einen BPMN-String, der von einer "ProcessEngin" ausgeführt werden kann.
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Service Repository (auch Applikationsspeicher)
Datenbank zur systematischen Ablage von (Web-)Services und Softwarebausteinen. Im Rahmen der Prozessmodelierung werden Services aus dem Service Repository ausgewählt und die Reihenfolge, in denen diese ausgeführt werden, festgelegt.